Sonntag, 10. Mai 2015

SPECIAL: ALEISTER CROWLEY AUS ZWEI BLICKWINKELN: "AC UND DER VERBORGENE GOTT" UND "AC UND DIE WESTLICHE ESOTERIK"



Der britische Magier Aleister Crowley bleibt für viele, die sich mit seinem Leben und seinen Ansichten beschäftigen möchten, zunächst einmal ein Enigma. Die eigens verfassten Werke des sagenumwobenen Charakters erweisen sich für jene, welche den einfachen Einstieg suchen, oftmals als zu verwirrend und spezifisch und auf der Suche nach “Fachliteratur” wird klar, wie viele Arten es gibt, sich ihm als Okkultist und Individuum zu nähern. Die Bücher “Aleister Crowley und der verborgene Gott” und “Aleister Crowley und die westliche Esoterik” zeigen hierbei sehr gut auf, wie sich zwei verschiedene Ansätze zu einem Ganzen verbinden können, welches die Sachverhalte in ungeahnter Abrundung präsentiert.


“Aleister Crowley und die westliche Esoterik” wurde von Henrik Bogdan und Martin P. Starr herausgegeben und beinhaltet 15 verschiedene Aufsätze, welche jeweils für sich genommen ein gewisses Thema behandeln. Die Ausrichtung ist durch und durch wissenschaftlich und (zumindest weitestgehend) wertfrei gehalten, so wie man es von dem ursprünglichen Herausgeber – der Universität in Oxford – nicht anders zu erwarten hätte. Dementsprechend wird akademisch verfahren: jeder Text verfolgt ein klares Ziel, welches direkt genannt wird, Fakten werden mit gewissenhaft wirkender Quellenarbeit belegt und Umstände und Hintergründe werden zu Genüge geschildert (auch in Fußnoten). 




Durch diesen objektiven Blick werden viele der Themengebiete, mit denen Crowleys Lehren in Verbindung steht, analytisch und ungetrübt präsentiert. “Das große Tier als tantrischer Held” befasst sich zum Beispiel mit Yoga und Tantra, ein weiteres Kapitel geht auf die Kulte der Yeziden und deren Analogien zu Crowley ein. Weiterhin gibt es Texte, welche sich modernen Strömungen und Charakteren zuwenden, mit welchen Crowley vertraut war, oder die von ihm beeinflusst wurden. Eines der interessantesten Kapitel dreht sich um Rosaleen Norton und die Korrespondenzen zwischen ihr und Crowley, ein anderes verfährt ähnlich mit dem Wicca Kult. Eines der vielleicht überraschendsten Themengebiete, welches “Aleister Crowley und die westliche Esoterik” behandelt, ist das über Scientology. Doch auch die biographischen Informationen, welche sich teils indirekt herauslesen lassen und teilweise direkt übermittelt werden, sind in höchstem Maße wertvoll. Gerade auf dieser Ebene scheiden sich die Geister was den bekannten Magus angeht, denn die Kapitel über die Freimaurerei und das über die ewige Fehde mit A.E. Waite zeigen Crowley auch als sehr Menschen, dem man egoistische und generell unsympathische Wesenszüge attestieren könnte. Eines der intensivsten Kapitel über Crowleys persönliches Leben ist “der Hexenmeister und sein Lehrling”, in dem ein Ritual, das er in Ägypten vollzog, eindringlich beschrieben wird.

“Aleister Crowley und die westliche Esoterik” kann (unter anderem) als Fundament angesehen werden, welches dem Verständnis von Crowleys Prinzipien zuträglich sein kann. Obwohl eine solche Abhandlung auch für diejenigen Leser vorteilhaft ist, welche sich rein mit dem Phänomen beschäftigen möchten, ist es wohl doch am sinnigsten, wenn die Informationen als Startpunkt genutzt werden, um die subjektiveren Aspekte von Crowleys Ansichten zu erkunden. Diesen Gegenpol bietet das Buch “Aleister Crowley und der verborgene Gott” des Okkultisten Kenneth Grant, auf dessen Leben und Werk schon in früheren Rezensionen Bezug genommen wurde. 



“Aleister Crowley und der verborgene Gott” ist – wie alle Schriften Grants – eine sehr komplexe und gewaltige Abhandlung über okkulte Ansätze, welche von einem „Insider“ stammen und in diesem Fall ausschließlich Ideen und Prinzipien anspricht, welche mit Crowley zu tun haben. Neben den für diesen Bereich “gängigen” Abhandlungen über die Kundalini und dem Symbolismus von Mond und Sonne – hier übrigens in sehr detaillierter und tiefgreifender Form dargeboten – enthält “Aleister Crowley und der verborgene Gott” auch sehr interessante Gedanken über Numerologie, die menschlichen Obsessionen und das Prinzip der Scharlach-Frau, welchem ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Es ist klar ersichtlich, wie involviert Grant in Crowleys Gedankenwelt ist und wie kritisch er gewisse Aspekte mit eigenen Ideen erweitert. Grants Schrift nimmt direkten Bezug auf Themen, welche auch in “Aleister Crowley und die westliche Esoterik” Gegenstand waren, doch stellt die sprichwörtliche andere Seite der Medaille dar. Es geht bei Grant nicht um die Beschreibung von Sachverhalten oder gar einen wissenschaftlichen Forschungsdrang, sondern um die persönliche Auslebung und die Methodik der Anwendung. So wird bei einer Lektüre von Grant und dem von Bogdan und Starr herausgegebenen Kompendium der selbe Sachverhalt von zwei unterschiedlichen Blickwinkeln heraus betrachtet und funktioniert auf zwei Ebenen harmonisch als größeres Ganzes. Besonders eindrucksvoll zeigt sich dies in den Bereichen, welche den Tantrismus und die damit einhergehende Sexualität behandeln und die Idee der Äonen, die in Thelema eine zentrale Rolle einnehmen. Gerade hier zeigt sich in „Aleister Crowley und der verborgene Gott“ das, was Grants Bücher generell so interessant macht: sein Pathos, seine fundierten Ansätze und die Detailgenauigkeit, in denen er die Ansätze ausbreitet, wohingegen „Aleister Crowley und die westliche Esoterik“ für das nötige Hintergrundwissen und die sprichwörtlichen „Hard Facts“ sorgt.

Sowohl “Aleister Crowley und die westliche Esoterik” als auch “Aleister Crowley und der verborgene Gott” stellen “Sekundärwerke” zu dem magischen Leben Aleister Crowleys dar und sind doch absolut unterschiedlich, was den Tonus und die Zielsetzung angeht. Nach der Lektüre beider Werke erscheint es einem so, als würde gerade in diesem Wechsel aus Innen- und Außenansicht der wahre Kern einer allumfassenden Auseinandersetzung mit diesen Ideen liegen. Beide Werke sind auf ihre Art anspruchsvoll und gerade deshalb sind sie – nicht nur in Interaktion – überaus lohnenswert.

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